Montag, 16. September 2013

Die Illusion der Einfachheit - oder: kann wirklich jeder heilen?

Hat man Sie auch schon eingeladen, Infoabende zu besuchen, an denen Ihnen gesagt wurde, dass auch in Ihnen ein "Heiler" schlummert, der nur darauf wartet, geweckt zu werden? "Alles, was Sie brauchen, sind zwei Finger und ein Herz voller positiver Gefühle!" Der Büchermarkt bietet dazu in letzter Zeit auch wahnsinnig viel Literatur und wenn man sich die verschiedenen Bücher so anschaut (ja, ich habe es getan!), dann stellt man schnell fest, dass ein Buch sich vom anderen inhaltlich oft kaum unterscheidet. Und bevor jetzt ein Aufschrei durch die ganze Gemeinde der Quanten-, Matrix-, oder anderer Selfmadeheiler geht, stopp! - keine Frage, diese Techniken funktionieren, ohne Zweifel! Es geht mir auch gar nicht darum, diese Methoden zu kritisieren. Und so sehr es mir ja auch widerstrebt, den Zeigefinger zu heben, heute muss es sein. Ok, vielleicht ist es nicht der Zeigefinger, sonder nur sein kleiner Verwandter, aber so ein Bisschen muss ich heut mal schimpfen dürfen. Wie einige Leser vielleicht wissen, habe ich selbst die eine oder andere energetische Ausbildung genossen und auch ich habe mich mit Quanten, Reiki und anderen Methoden beschäftigt, die alle dazu geeignet sind, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Die Kurse sind immer voll mit angenehmen Menschen, die alle hochmotiviert sind, diese Techniken zu erlernen, meist, weil Tante Martha schon seit Wochen Wasser im Knie hat, der Opa den grauen Star oder sie selbst mit einer anderen Krankheit geschlagen sind. Und es ist ja sooo leicht. Und was die Kursleiter oft nicht alles versprechen und erzählen... Da kann man dann schon mal kurzzeitig an der Schulmedizin zweifeln und fragt sich, warum andere 15 Semester Medizin studieren, oder viele Jahre Physiotherapieausbildung hinter sich gebracht haben, sich kontinuierlich weiter bilden, wenn es anders auch geht. Wie oft wird in solchen Kursen vernachlässigt, dass Krankheiten oft die verschiedensten Ursachen haben? Wie oft wird "vergessen", dass seelisches Ungleichgewicht oder systemische Unregelmäßigkeiten zu Symptomen und Krankheiten führen können? Da heißt es dann oft einfach nur: "Was, Rückenschmerzen? Kein Problem, das haben wir rubbeldiekatz im Griff, Du musst nur...." Ja, was muss man denn nur? Ich sag's ja nicht gern (doch eigentlich schon!), man muss hinschauen. Wenn ich einen Klienten vor mir habe, dann reicht es eben nicht, dass ich weiß, dass er häufiger aus der Nase blutet, ich muss "dahinter" schauen. Ich muss wissen, wie ein Mensch energetisch aufgebaut ist, wie er "konstruiert" ist, ich muss doch wissen, wo ich ansetzen kann, muss seine Geschichte kennen, damit ich nicht nur, wie in der Schulmedizin gerne mal getan, Symptombehandlung mache. Manche Symptome sind eben nicht nur ein Schnupfen und da kann ich energetisch zwar positiv einwirken, aber wenn ich die Ursachenforschung auslasse, dann sitzt der Klient ein paar Tage später zu Hause, die Symptome kehren zurück und dann haben wir den Salat! Was passiert nämlich dann? Genau: "die Energetiker sind alles Scharlatane, die können nix, aber einen Haufen Geld verlangen's..." Dass möglicherweise systemisch mit dem Klienten hätte gearbeitet werden sollen, er vielleicht auch psychologische Beratung gebraucht hätte etc.pp. Ach woher! Mit der XY-Methode passt das schon! Natürlich gibt es verantwortungsbewusste Energethiker mit fundierter Ausbildung auch in anderen Bereichen - Gott sei Dank! Aber wenn diese eine Ausbildung anbieten, dann kostet die meist mehr, dauert länger und ist daher natürlich längst nicht so populär wie das Wochenendseminar bei dem ich in drei Schritten zum Wunderheiler mutiere. Ach und was ist übrigens mit "Reinigung, Erdung & Schutz"? Wird ja gerne auch mal übersehen oder von den "Lehrmeistern" ins Reich der esoterischen Fabel verwiesen... Dass aber Energien fließen, ausgetauscht werden und dass es wichtig ist, sich selbst soweit zu schützen und zu erden, dass die Energien auch dahin fließen, wo sie hin gehören, das hat man vermutlich nicht gehört, wenn man nach drei Wochenenden ein sogenannter "...." (hier bitte einen beliebigen Titel einfügen, den man erwerben kann), sich aber nie wirklich informiert hat. Jetzt fragen Sie Sich vielleicht, warum ich mich so echauffiere? Ganz einfach: Wie so oft in heutiger Zeit fehlt es manchen Menschen an Demut und Verantwortungsbewusstsein. Zu einem guten Therapeuetn gehört auch, dass er "Nein" sagen kann. Nein, wie in: ich bin nicht der richtige Therapeut für Dich, aber ich kenne jemanden, der hier besser helfen kann. Oder nein, wie in: hier werden wir energetisch nur Symptome behandeln können, ich glaube, das Problem sitzt tiefer, lass uns das gemeinsam ergründen... Ich habe als Therapeut doch Verantwortung gegenüber meinen Klienten, kann sie doch nicht mit waghalsigen Versprechen in die Praxis locken, nur, um dann später einzusehen, dass ich mich doch zu weit aus dem Fenster gelehnt habe. Auch als Ausbilder habe ich Verantwortung. Ich habe die Verantwortung, dass mein "Schüler" alles lernt, was er wissen muss, damit ich ihn auf Klienten loslassen kann. Dazu gehört Hintergrundwissen, dazu gehört die Demut vor der Schöpfung, in deren Einklang gearbeitet werden sollte, nicht hineingepfuscht. Die Voraussetzung ist da natürlich, dass ich selbst gut ausgebildet bin... Sicher, jeder kann heilen. Wirklich. Aber wenn Sie das nächste Mal ein Buch über energetisches Heilen in die Hand nehmen oder zu einem Seminar gehen, dann prüfen Sie den Prüfer, prüfen Sie den Ausbilder. Fragen Sie nach Zusammenhängen, nach Tiefgang und Demut (ja, ich weiß, das Wort ist vorbelastet, aber es fällt mir kein besseres ein) Fragen Sie Sich, warum dieser Mensch sein Seminar anbietet. Was sind seine Ziele? Geht es um den schnellen Euro oder ist sein Ziel Sie zum optimalen Therapeuten auszubilden? Auch, wenn sich vieles geändert hat in den letzten Jahren, eines sicher nicht: Wenn ich mit Menschen arbeite, trage ich Verantwortung. Vergessen wir das nicht...

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